SHARK POINT

SHARK POINT

Bissige Haie tummeln sich im Paradies

Harriet Storm tritt ihre Flitterwochen auf einem idyllischen Atoll mitten im Indischen Ozean an – ohne ihren Mann, der es vorzieht, seiner Arbeit als Kapitän nachzugehen. Sie ahnt nicht, dass im Paradies nicht nur Cocktails und bunte Fische auf sie warten, sondern bissige Haie der übelsten Sorte.

Leseprobe: Prolog

Eine holprige Trasse aus zahllosen Reifenspuren mäanderte vom Kandahar-Harat-Highway südwestlich, wand sich über die Ebene bis nach Camp Bastion und weiter ins Nirgendwo. Am Abzweig zur Forward Operating Base Tombstone wiesen drei Pappschilder an einer rostigen Eisenstange den Weg zur Heimatbasis Bickleigh, nach London und Camp Bastion. Zu unterst stand in sorgfältig gemalten Lettern auf braunem Karton: „Taliban – everywhere!” Vier Pfeile zeigten in alle Himmelsrichtungen.

Ein Steinkauz flog im fahlen Mondlicht lautlos über die FOB Tombstone hinweg nach Lahkar Gah, wo es Wasser gab. Um die Basis zog sich ein Wall aus NATO-Draht. Innerhalb der Umzäunung definierten Zelte, Waffen und Nahrung die Möglichkeit des Überlebens. Außerhalb regierte der Tod. Der Name Tombstone – Grabstein – war passend gewählt.

Den Zugang zum Camp überragte ein eilig hochgezogener Wachturm aus knorrigem Holz. Er schwankte trotz der Befestigung aus Spanndrähten und Sandsäcken in unregelmäßigem Rhythmus zur rauen Melodie des Windes. Die Drähte summten, sobald sie unter Spannung kamen, und setzten einen zarten Kontrapunkt zum Knattern der britischen Flagge. Das Schlagen der Flaggleine peitschte stakkatoartig durch die Nacht.

Ein Schatten huschte an der Torwache vorbei, in die Deckung einiger Felsen neben der von Schlaglöchern durchsetzten Zufahrtsstraße aus festgefahrener Erde. Nur die wachsamen Augen Wyatt Earps folgten ihm mit besorgtem Blick. Gekrönt von einem Stetson bewachte das Porträt des legendären Revolverhelden die Zufahrt zum Entry Control Point mit warnend emporgehobenem Colt. Regungslos wartete ein Mann, dessen Kleidung sich kaum vom schmutzigen Karamell des Untergrundes abhob. Als niemand Alarm schlug, verließ er die Deckung und bewegte sich vorsichtig auf einem Trampelpfad entlang der Umfriedung zur mondabgewandten Seite der Basis. Der Ring aus messerscharfen Klingen zu seiner Rechten schimmerte leicht, wenn Scheinwerfer über ihn hinweg glitten. Die Lichtreflexe verliehen der Barriere einen Hauch von Leichtigkeit. Seltsam anmutig schwang sich der Zaun in fast perfekter Kreisform durch die schroffe Landschaft, in der im Sommer Staub und im Winter Schlamm das beherrschende Element war.

Inmitten trügerischer Sicherheit dominierte ein quadratisch angelegter Platz die geradlinige Struktur innerhalb der Basis. Geländegängige Fahrzeuge aller Art verteilten sich strategisch über die Fläche, als hätte sie ein Trainer zur Taktikbesprechung eines Fußballspiels aufgestellt. Am Kopf einer Schlange bereitgestellter Wagen schaute ein gepanzertes, mit einer Minensuchvorrichtung versehenes Vehikel Richtung Gate. Trotz der späten Stunde herrschte rund um die Fahrzeuge emsiges Treiben. Leere Kisten und Fässer warteten – bereit, am nächsten Tag in Camp Bastion Vorräte aufzunehmen. […]

[… ] Der Mann hatte das Camp unterdessen fast zur Hälfte umrundet. Zischend sog er Luft durch die zusammengebissenen Zähne, als er plötzlich strauchelte. Hier auf der Rückseite befanden sich viele Felsen und geducktes, von zahlreichen Stürmen klein gehaltenes, trockenes Gestrüpp. In einer flachen Mulde sank er zu Boden. Sein Atem ging schwer, stoßweise, vermengt mit schluchzenden Lauten, die vom Wind aufgefangen und weitergetragen wurden. Die warme Luft aus seinen Lungen kondensierte in der Kälte der Nacht. Curly drehte sich auf den Rücken und starrte zum Himmel.

Die Sterne bildeten eine grandiose Kulisse – zu prächtig für das, was auf der Bühne stand. Orion folgte dem Stier entlang der Hemisphäre nach Westen, friedvoll und beständig seit tausenden von Jahren über einem Land, das Frieden und Beständigkeit nicht kannte. Der rote Aldebaran war im Dunstschleier am westlichen Horizont kaum noch auszumachen, doch Beteigeuze glühte blutrot in der Schulter des Orion, wie eine offene Wunde im Fleisch des Himmelsjägers.

Orion war Alices Lieblingssternbild. Gewesen, korrigierte er sich automatisch. Ein melancholisches Lächeln glitt über sein Gesicht, als er sich daran erinnerte, wie wehmütig Alice jedes Jahr im Frühling war, wenn das Wintersternbild aus ihrer Himmelsgalerie verschwand. Der Kloß im Hals wuchs weiter, der Schmerz schnürte die Brust ein, nahm ihm die Luft zum Atmen. Er spürte die spitzen Steine kaum, die sich ihm in den Rücken bohrten. Sein Körper verkrampfte sich. Das Pendel der Verzweiflung schwang unbarmherzig in seinem Bauch vor und zurück. Curly krümmte sich vor Schmerz. Für einen Moment fand er Erleichterung, als er sich in Fötushaltung auf die Seite rollte.

Er war nicht darauf vorbereitet gewesen, wie es sich anfühlen würde. Alles, was ihm etwas bedeutet hatte in seinem Leben, lief aus ihm heraus. Zurück blieb nur eine leere, einsame Hülle. Die innere Kälte ließ ihn zittern. Ein Mann gab niemals auf, das hatte ihm sein Vater von klein auf in die Seele geprügelt. Ein Royal Marine erst recht nicht.

Er würgte. Erstickte fast an der bitteren Suppe, die in seinem Magen brodelte – gekocht aus überzogener Loyalität und Verlust all dessen, was ihn als Menschen ausmachte. Ein letztes Mal drehte sich Curly auf den Rücken und fiel in die Unendlichkeit der Sterne, denen es nicht gegeben war, ihm Trost zu schenken. Dann rappelte er sich auf, straffte die Schultern und ging mit erhobenem Haupt in den minengesicherten Sperrgürtel rund um die Basis.

Der Wind frischte auf, Sturmböen schickten tanzende Staubteufel über die karge Ebene. Dort, wo sie auf das Camp trafen, warfen sie einen karmesinroten Schleier auf schmutzig weiße Zelte und silbrige Wellblechhütten, nahmen den Soldaten die Luft zum Atmen. Fast schien es, als würden die wirbelnden Staubhosen Curly auf seinem schweren Gang verschonen wollen. In andächtigem Abstand vollführten sie ihren Tanz, gaben ihm Geleit bis zum Ende.

Genre:

Thriller