Gegen den Wind

Gegen den Wind

Eine Frau geht ihren Weg an Bord

Von der Ausbildungsplatzsuche bis zum Einsatz als Erster Offizier

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Leseprobe: Ausbildungsplatzsuche (Kapitel 7)

Zulassungsvoraussetzung zum Nautikstudium war eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung zum Schiffsmechaniker. Ein Großteil davon würde an Bord erfolgen, aber das war mir nur recht. Über den Tellerrand zu schauen und ein wenig von der Welt zu sehen, war verlockend.

Ich schrieb Bewerbungen an alle deutschen Reedereien. Mit jeder Absage knackste etwas an meinem Selbstwertgefühl, denn Grund war nicht meine möglicherweise mangelnde Qualifikation, sondern mein Geschlecht. Nur – daran konnte ich nichts ändern. Gewollt hätte ich damals manchmal schon, da ich mich im Kreise meiner Klassenkameraden immer wohler gefühlt hatte, als bei den pubertär gackernden Mädchen. Auch Fußball, Leichtathletik, Karate und Ju-Jutsu sind als Hobbies meist eher bei den Jungs zu beobachten. Also – irgendetwas war falsch bei mir.

Als ich es schon nicht mehr erwartet hatte, bekam ich drei Einladungen zum Vorstellungsgespräch. Der erste Termin war bei einer kleinen Reederei in Niedersachsen. Man hatte mich in den altehrwürdigen Firmensitz eingeladen, um mir bedauernd zu erläutern, dass man mich nicht einstellen könne, weil sie in der Vergangenheit nur Frauen als Auszubildende angenommen hätten. Wenn sie jetzt keinen Mann nehmen würden, bestünde die Gefahr, dass die Reederei als männerfeindlich eingestuft und sich keine guten Leute mehr bewerben würden. Aha, dachte ich, warum musste ich dafür über zwei Stunden mit der Bahn durch Ostfriesland gondeln?

Zurück in Bremen fragte ich mich, ob es Sinn machte, zu den weiteren Vorstellungsgesprächen nach Hamburg zu fahren. Die meisten Reedereien hatten keinen Ausbildungsplatz für mich, weil sie überhaupt keine Frauen einstellten und die Ostfriesen-Reederei wollte mich nicht, weil sie in letzter Zeit nur Frauen eingestellt hatten. Großartig.

Das nächste Vorstellungsgespräch lief wider Erwarten prima. Der Firmensitz lag zentral in Hamburg, war groß und modern und es erfüllte mich mit Stolz, in dem glänzenden Edelstahl-Fahrstuhl bis fast nach oben fahren zu dürfen. Obwohl ich eine Frau war. Das Ausbildungskonzept war konventionell, als Einzelfahrerin würde ich auf den Schiffen von der Besatzung ausgebildet werden und pro Jahr einen dreimonatigen Schulzeitblock in Bremen besuchen.

Als der Brief kam, riss ich den Umschlag noch an der Haustür auf, dann knickten mir die Beine weg und ich ließ mich auf den Boden sinken. Dort saß ich, bis meine Eltern vom Einkaufen nach Hause kamen und starrte ins Leere.

“Die Geschäftsführung wollte mich haben. Als erste Frau in der nautischen Laufbahn bei dieser Reederei. Aber der Betriebsrat muss bei Einstellungen zustimmen und sie haben sich gegen Frauen an Bord entschieden.”, erklärte ich meinen Eltern. Obwohl meine Eltern meinen Seefahrtsplänen gegenüber eigentlich abgeneigt waren, versuchten sie mich zu trösten. Viel half es nicht.

Das dritte Vorstellungsgespräch rückte näher. Meine letzte Chance, einen Ausbildungsplatz in der Seeschifffahrt zu ergattern. Dieses Mal durfte ich mit dem Auto meiner Eltern fahren, denn mein Ziel lag nicht gut erreichbar in der Hamburger Innenstadt, sondern auf der anderen Seite der Elbe im Hafengebiet. Ich meldete mich beim Pförtner, der mein Anliegen telefonisch weiterleitete. Es dauerte nicht lang, da wurde ich von Herrn Oelkers abgeholt. Das Gespräch verlief angenehm ohne bohrende Fragen. Herr Oelkers erläuterte das Ausbildungskonzept, welches sich von dem konventionellen stark unterschied. Es würde eine Gruppenausbildung auf einem Ausbildungsschiff geben. Die gesamte Ausbildung war auf nur zwei Jahre angelegt, da sowohl für das Abitur als auch die Gruppenausbildung jeweils ein halbes Jahr Verkürzung angerechnet wurde. Das klang vielversprechend.

Allerdings suchte die Reederei keine reinen Nautiker, sondern vertrat ein neues Modell, nach dem durch ein vierjähriges Studium sowohl das nautische als auch das technische Großpatent erworben werden sollten. Das betraf nicht nur Neueinsteiger, sondern auch die bereits fahrenden Nautiker und Ingenieure. Sie mussten jeweils eine zweijährige Umschulung in Kauf nehmen, um in der Firma bleiben zu können, da alle Schiffe nach diesem Konzept umgestellt werden sollten.

„Ihnen ist klar, dass die Ausbildung zum Schiffsmechaniker neben der Theorie sehr viele praktische Anteile in Metallbearbeitung und vor allem an Bord die Arbeit im Maschinenraum beinhaltet? Diese Arbeit wird hart, laut und schmutzig sein und die Temperaturen im Maschinenraum sehr heiß, also körperlich belastend.”

Ich dachte an den Impellerwechsel vor Dänemarks Stränden, der bislang meine einzige technische Erfahrung geblieben war und daran, dass ich diesen Ausbildungsplatz unbedingt haben musste.

„Wie Sie den Fächern in meinem Abiturzeugnis entnehmen können, lagen meine Interessen ja immer schon im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, auch wenn natürlich das Physikstudium eine Fehlentscheidung war. Es ist aber wirklich sehr theoretisch angelegt, so dass ich mich freuen würde, endlich praktische Erfahrungen sammeln zu dürfen. Und Schmutz macht mir nichts aus, da können Sie meine Mutter fragen. Sie wird Ihnen bestätigen, dass ich immer das schmutzigste Kind in der Gruppe war.”

„Könnten Sie sich denn auch vorstellen, nach der Ausbildung das integrierte Studium zu absolvieren und hinterher als Schiffsbetriebsoffizier zu fahren?”, fragte Herr Oelkers.

„Aber natürlich.”, sagte ich und hoffte, dass ihm meine Gedanken verborgen blieben. Was ich nach meiner Ausbildung machen würde, war schließlich meine Entscheidung. Aber zuerst brauchte ich diesen Schiffsmechanikerbrief und hier gab es ihn sogar in zwei statt drei Jahren. Ich konnte in die Technik reinschnüffeln und falls mir das nicht zusagte, würde ich am Ende einfach nur Nautik studieren.

„Eine letzte Frage habe ich noch an Sie, Frau Schröder. Sozusagen als Eignungsfeststellung.” Herr Oelkers nahm einen Schluck Kaffee. “Wenn Sie ein Gewinde in ein Stück Stahl schneiden wollen, was müssen Sie dabei beachten?”

Was für eine blöde Frage, dachte ich. Natürlich ein Loch bohren in der geeigneten Größe und dann das Gewinde schneiden. Schneiden heißt das? Okay, wieder was gelernt. Ach ja, und Haare und Finger daraus halten beim Arbeiten. Ich formulierte meine Antwort möglichst eloquent und schaute mein Gegenüber, einen erfahrenen Schiffsingenieur, erwartungsvoll an.

„Ja, soweit richtig, aber was genau beachten Sie beim Bohren des Loches?”

„Hm, ich markiere mir die Stelle, wo das Loch sein soll, bohre und schneide dann das Gewinde?” So langsam wurde ich unruhig.

„Richtig. Aber nochmal zum Bohren, was berücksichtigen Sie bei der Auswahl des Bohrers, wenn Sie danach das Gewinde schneiden wollen?”

Was zum Henker wollte der Typ von mir? Auch wenn ich das nur gedacht hatte, musste Herrn Oelkers bemerkt haben, was mir durch den Kopf ging und er war so lieb, die Frage selbst zu beantworten.

„Na, Sie müssen das Loch natürlich kleiner bohren, als das gewünschte Gewinde, sonst hat der Gewindebohrer nichts zum Schneiden.”
Am liebsten hätte ich ihm ein Gewinde in seinen Schreibtisch gebohrt, aber glücklicherweise hatte ich gerade keinen passenden Gewindebohrer in der Tasche.

Um einen guten Abgang bemüht, sagte ich: „Aber das ist doch logisch, wenn das Metall schon weggebohrt ist, kann da kein Gewinde mehr geschnitten werden. Es tut mir leid, aber das erschien mir so selbstverständlich, dass ich nicht darauf gekommen bin, was Sie von mir hören wollten.”

Mit einem schlechten Gefühl fuhr ich zurück nach Hause. Es hatte so gut angefangen und dann so eine Frage. Natürlich war mir klar, dass genug Rand stehen bleiben musste, um das Gewinde in der gewünschten Größe zu schneiden, aber Herr Oelkers hatte mich total durcheinandergebracht. Dennoch – dieses Mal hatte ich Glück. Schon zwei Tage später kam die Zusage für einen Ausbildungsbeginn im August und ich packte die Physikbücher endgültig beiseite.

Genre:

Autobiographie